Edel sei der Mensch, hilfreich und gut

Hilfsbereitschaft

 

„He – Sie!“ Ts ts ts, da geht der doch einfach mit meiner Knoblauchknolle weg. Ich hocke auf dem Band der Supermarktkasse neben meiner Knoblauchknolle und will sie gerade bezahlen. Die Verkäuferin hatte sie sogar schon in der Hand und sagte etwas Unverständliches auf Rumänisch zu mir – da schnappt sich der Kerl hinter mir die weiße knubbelige Wurzel und haut ab! Gedanklich bin ich noch mit den kryptischen Worten der Kassiererin beschäftigt, da kommt er wieder, mit dem Knoblauch in der Hand. Doch jetzt hat dieser einen Aufkleber, der Gewicht und Preis ausweist. Gute Güte, ich hatte ihn nicht gewogen! Und noch lange bevor mein kleines Rabenhirn verstanden hatte, worum es überhaupt geht, hatte sich der Mann schon meiner und der Knolle angenommen und alles geregelt. Tja, das ist Rumänien. Hier wird dir so oft geholfen, wie Hühner Eier legen.

 

 

 

 

In Läden wie diesen ist es einfacher: Ich zeige mit dem Schnabel auf die Ware, die ich haben möchte. Manchmal darf ich auch hinflattern zum Zeigen oder es mir sogar aus dem Regal nehmen und auf den Ladentisch legen. Aber in solchen Tante-Emma-Läden gibt es eben doch nicht alles und man muss doch auf den Supermarkt zurückgreifen. Ein anderes Mal brauche ich nämlich eine SD-Karte zum Fotografieren. Das ist im Supermarkt ziemlich umständlich, denn ich muss erst an der Information einen netten Mitarbeiter ankrächzen, damit ich ihm vor der entsprechenden Vitrine um die Ecke zeigen kann, was ich haben möchte. Daraufhin drückt der mir eine Plastiktafel mit einer Zahl darauf in den Schnabel, die ich an der Kasse vorzeigen muss zum Bezahlen. Dann flattere ich mitsamt dem Täfelchen und dem Kassenzettel zur Information zurück und bekomme nun endlich meine SD-Karte ausgehändigt. Da ich das alles nicht wissen kann und der Verkäufer mir das nur auf Rumänisch erklären kann, begleitet er mich einfach kurzerhand und erledigt alles für mich. Ich brauche nur hinter ihm her zu fliegen.

 

 

 

 

Am lustigsten ist aber die Geschichte, die ich in diesem kleinen Ort am Rande des Deltas beobachte. Ich selbst nehme mir einen ganzen Tag Zeit, hocke mich im Zentrum des Ortes auf einen Baum und beobachte mehrere Stunden lang das Treiben. Das Zentrum ist übrigens die Stelle der Hauptstraße, an der die meisten Leute auf ebendieser rumhängen. Ich geselle mich quasi zu ihnen und beobachte, wie an der Endhaltestelle ein Minibus ankommt. Er spuckt unter anderem zwei Reisende mit großen, dicken Rucksäcken aus. Sie werden begleitet vom Busfahrer und eisvogelschnell haben die drei eine Traube von Menschen um sich geschart. Aus den englischen Anteilen des Palavers schnappe ich auf, dass die beiden Fremden zum 3 km entfernten Hafen wollen. Nach 5 min Gerede steigen die beiden mit anderen Fahrgästen wieder in den Bus ein und der startet seine Rücktour offensichtlich mit einem Abstecher zum Hafen – extra für die beiden. 20 min später kommt ein kleiner Lieferwagen aus Richtung des Hafens, hält an der Bushaltestelle und aussteigen – die beiden Rucksackreisenden. Sofort scharen sich wieder helfende Rumänen um sie und es stellt sich heraus, dass sie durchaus zum Hafen wollten, aber erst in drei Stunden. Das ging im Eifer des Gefechtes vorhin unter.

 

 

Achtung! Denkender Reiserabe.
Achtung! Denkender Reiserabe.

 

 

Als sich das Ende meines Aufenthaltes auf dem Hotelschiff im Donaudelta nähert, werde ich von George, dem Hotelier, nach meinen weiteren Reiseplänen gefragt. Ich äußere eine Idee, die aber noch kein fester Plan ist. Prompt will er zum Telefon greifen, um das Nötige zu organisieren. Ich kann ihn gerade noch davon abhalten, indem ich ihm glaubhaft versichere, dass dies erst mal nur eine Idee ist und ich mich auf jeden Fall an ihn wenden werde, wenn ich endgültig weiß, was ich tun möchte.

 

Aber so ist das in Rumänien. Man muss sich der Hilfsbereitschaft manchmal quasi erwehren. Ich persönlich bin dazu übergegangen, meine Pläne sehr, sehr vage auszudrücken und die Handlungen meines Gegenüber anschließend genau zu beobachten, damit ich zur Not bremsend eingreifen kann. Mich hat dieses Verhalten sehr beeindruckt und ich habe mich dabei immer wohl gefühlt. Und ich halte fest: Die Rumänen sind das hilfsbereiteste Volk, das ich in meinem ganzen Reiserabenleben getroffen habe.

 

 


Infos:

 

In Rumäniens Süden war ich im August 2016.