Jede Woche ein Straßenfest

Ein rumänischer Kirchensonntag

 

Ich bin stolz. Ich hocke auf der Schulter meines Gastgebers Gigi und werde von ihm am Sonntagmittag zur besten Messezeit die Hauptstraße entlang getragen. Viele Dorfbewohner begegnen und grüßen uns. Gigi ist auch stolz. Immer wieder zeigt er auf mich und sagt: „Germania, Germania.“ Die Antworten sind respektvolle Ahs und Ohs. Dass ich der weltweit einzige Reiserabe bin, ist quasi zweitrangig.

 

 

 

 

Hier spricht Gigi mit einer alten Frau. Sie trägt völlig intakte traditionelle Kleidung der Gegend. Die Kleidungsstücke sind schon 100 Jahre alt und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Eine andere mittelalterliche Frau hat ein T-shirt an mit der Aufschrift: „In der Schule gebe ich 100%: Montags 35%, dienstags 16%....“ usw. Ich muss schmunzeln. Erst nach drei weiteren Schritten von Gigi fällt mir ein, dass ich diese deutsche Aufschrift mitten in einem rumänischen Dorf gelesen habe. Ich flattere zurück zu ihr, aber meine Frage, woher sie das T-shirt hat, versteht sie nicht.

 

 

 

 

Wir besuchen den „chief“ des Dorfes und trinken mit ihm einen Kaffee in seinem offenen Gartenpavillon, in dem eine Keilriemensammlung hängt. Leider kriege ich auch nach mehrerem Nachfragen nicht heraus, ob er der amtliche Bürgermeister ist oder eher so etwas wie der Dorfälteste, den die anderen respektvoll um Rat fragen. Während der ganzen Zeit im Pavillon hören wir über Lautsprecher den orthodoxen Popen die Messe halten. Als diese nach langer Zeit vorbei ist, besuchen wir auch ihn. Er heißt Julian, er ist unglaublich freundlich, fragt nach meinem Namen und schenkt mir eine Ikone aus dem winzigen Kirchenlädchen. Sie ist grün und golden und wunderschön. Stolz klemme ich sie mir unter den Flügel.

 

 

Ungefähr so sieht sie aus.
Ungefähr so sieht sie aus.

 

 

Vier Stunden lang singt, betet und predigt Julian jeden Samstag und Sonntag. Die Besucher können in dieser Zeit kommen und gehen wie sie wollen. Das müssen die Leute auch, denn die Kirche ist winzig und demnach immer voll. Damit aber trotzdem alle die Andacht mitbekommen, wird sie per Lautsprecher nach außen übertragen. Etwa ein Drittel der Dorffläche wird beschallt. Die Samstagsandacht wird für die Toten gehalten mit einem gemeinsamen Frühstück, zu dem jeder etwas mitbringt. Die Sonntagsandacht ist für die Lebenden. Die Menschen halten sich rund um die Kirche auf der Straße auf und an diesem Sonntag bin ich mitten dabei!

 

 

 

 

Es gibt kleine Bauernstände mit Obst und Gemüse, einige halten einen Frühschoppen in der Ladenkneipe, am Kiosk oder auf der Straße mit einem Bier aus dem kleinen Supermarkt. Ein sehr alter Mann kommt vorbei mit seiner 20 Jahre jüngeren Lebensgefährtin, vielleicht auch Pflegerin oder was auch immer. Jedenfalls trägt sie mit ihren immerhin auch schon etwa 60 Jahren Hot pants und einen kurzen weißen Kittel, der tiefe Einblicke gewährt, da just über der drallen Brust ein Knopf fehlt. Wenigstens passt der korallfarbene BH zu den Kittelapplikationen.

 

 

Er kommt alleine klar.
Er kommt alleine klar.

 

 

Im Dorfladen mit Kneipe ist der erste trotz der Mittagszeit betrunken. Mit einem alten Mütterchen sitzt er schwankend an einem Tisch samt Plastiktischdecke mit nostalgischem Weihnachtsmuster und tut sich an einer Wassermelone gütlich. Er herzt mich wie einen guten Bekannten und ich werde eingeladen. Gigi spendiert ein Bier dazu, denn es ist heiß. Der Angetrunkene zündet sich eine Zigarette an und bekommt vehementen Ärger von der jungen Verkäuferin. Ggf. muss sie nämlich die Strafe von 5000 Lei zahlen. Rauchen ist in allen rumänischen Bars und Läden verboten. Zum Abschied hinterlässt er einen klebrigen Wassermelonensee auf der Tischdecke.

Herein kommt ein winziger 90-jähriger Mann mit altehrwürdigem Stock, Hut, Anzugweste und –hose und blauem Hemd. Wie ein Italiener seinen Espresso, trinkt er an der Kasse einen großen Schnaps, zahlt und geht. Ich kriege auch einen und bin nun voll wie eine Blauracke, schließlich habe ich ja schon das Bier getrunken und drei Schnäpse zum Frühstück vor 2 Stunden. Ich muss nach Hause und Gigi bringt mich Heim in mein Nest.

Schade eigentlich, im Sonntagsdorf war es toll.

 

 


Infos:

 

In Rumäniens Süden war ich im August 2016.