Zum Lernen ist niemand zu alt (Sprichwort)

Bildung und Kinder

 

„Ich bin so gespannt!“ Aufgeregt hüpft Fatemeh von einem Fuß auf den anderen. Sie ist 20 Jahre alt und hat ihren Konkur abgelegt, wie sie mir erzählt. „Konkur? Was ist das?“ frage ich. Das ist die Aufnahmeprüfung für die Universität, lerne ich. „Die ist richtig schwer und unglaublich wichtig. Ohne Studienabschluss hast du kaum eine Chance auf Arbeit“, erklärt sie. „Ich habe drei Jahre dafür gelernt und jetzt warte ich auf das Ergebnis.“

 

 

Englischkenntnisse vor dem Konkur
Englischkenntnisse vor dem Konkur

 

 

Aus den Prüfungsergebnissen aller Bewerber wird ein landesweites Ranking erstellt, das die Wartezeit und den Studienort beeinflusst. Je besser die jungen Iraner abschneiden, desto größer sind ihre Wahlmöglichkeiten. Fatemehs Familie hat sogar letztes Jahr auf den Urlaub verzichtet, damit sie sich weiter vorbereiten kann. Fremdsprachen will sie studieren, denn sie will Reiseleiterin werden und zur Übung begleitet sie mich durch Tabriz. „In Fremdsprachen will ich meinen Bachelor machen und meinen Master in Naturwissenschaften. Dann kann ich meine Touristen auch medizinisch versorgen.“

 

 

 

 

Ich bin gleich doppelt verdutzt und meine Gedanken wirbeln durcheinander wie die obige Mosaikspirale: „Wie kannst du denn zu Naturwissenschaften wechseln, das hat doch nix mit Fremdsprachen zu tun? Und wieso bist du Ärztin, wenn du Naturwissenschaften studiert hast?“ Fatemeh lacht. „Das geht bei uns so. Naturwissenschaften ist eine Studienrichtung. Mit dem Konkur bewirbst du dich für eine ganze Richtung und in der kannst du dann deinen Studiengang wählen, zum Beispiel Medizin im Rahmen der Naturwissenschaften. Nach dem Bachelor kann ich mich für jedes andere beliebige Studium bewerben.“ Ihr Cousin hat die Aufnahmeprüfung letztes Jahr übrigens nicht geschafft. Deshalb will er jetzt in Deutschland studieren und danach in den Iran zurückkommen. ,Soso, wenn man es im Iran nicht schafft, dann geht man also nach Deutschland… Ob das wirklich funktioniert? Und wenn ja: Was sagt das wohl über die Studienqualität in Deutschland aus?´ frage ich mich.

 

 

"Englisch lernen“ heißt für Perser auch „Schrift lernen".
"Englisch lernen“ heißt für Perser auch „Schrift lernen".

 

 

Drei Jahre hartes Lernen nur für die Aufnahmeprüfung! Die sind ganz schön hart im Nehmen, die Iraner. Oder einfach irre lernwillig. Das jedenfalls ist mein Eindruck nach meinem Aus-Flug in das Land der Perser. Viele von ihnen haben Englisch so gut gelernt, dass wir uns lange über die verschiedensten Themen unterhalten können. Jüngere lernten es in der Schule, die Mittelalterlichen (…sagt ihr das so?) von Touristen oder an Abendschulen. Abendschulen scheinen sich überhaupt großer Beliebtheit zu erfreuen. Einmal sprach mich ein junger Mann in wirklich perfektem Deutsch an. Akzentfrei, in gesetzten Worten und grammatikalisch absolut korrekt! Besser als einige Muttersprachler zu Hause, ganz ehrlich. „Wo haben Sie in Deutschland gelebt?“, frage ich ihn aufgeregt flatternd. „Ich war noch nie in Deutschland. Ihre Sprache habe ich im Goethe-Institut hier in Hamedan gelernt.“ Wow, ich bin echt beeindruckt. Und eine Woche später wieder: „Guten Tag, Sie sprächän Deutsch, ich höre.“ Nicht ganz so bemerkenswert korrekt, aber gut verständlich und umfassend, wie ich später feststelle. Denn Salman führt mich durch die Jame-Moschee in Shiraz und breitet sein spannendes Wissen vor mir aus (s. Moscheen). Auch er war noch nie Deutschland.

 

 

Die Imam-Moschee in Shiraz
Die Imam-Moschee in Shiraz

 

 

Der Grad ihrer Bildung und Nachdenklichkeit lässt sich manchmal auch an den erstaunlichen Fragen ablesen, die den Touristenfloskeln folgen. Mitten an einem lauen entspannten Sommerabend auf dem Imamplatz in Isfahan wurde ich gefragt: „Glauben Sie, dass Deutschland ein gutes Umweltkonzept hat und dass 2030 wirklich nur noch Elektroautos auf Deutschlands Straßen fahren werden?“ Oder ein Taxifahrer. Der drehte sich mitten während der Fahrt zu mir um und fragte: „Was, glauben Sie, ist das größte Problem der Iraner?“

 

 

In Maragheh
In Maragheh

 

 

Aber völlig unabhängig von der Zahl der Schulbesuchsjahre, der Intellektualität oder des Alters können alle Iraner die Touristen-Willkommens-Floskeln: „Hello, welcome to Iran.“ - „Where do you come from?“ - „Oh, Germany, what nice country!“ – „Which towns did you see in Iran?“

 

 

In diesem tollen Restaurant konnte ich eine einheimische Familie mit Kindern beobachten.
In diesem tollen Restaurant konnte ich eine einheimische Familie mit Kindern beobachten.

 

 

Apropos Schulbesuchsjahre, Kinder, Pädagogik und so. Ich war ja schließlich mal Schulrabe und beobachte den Umgang mit jungen Menschen immer noch sehr gerne. Die sind bei den Erwachsenen einfach immer dabei. So als wären sie schon groß. Im Restaurant sitzen sie mit am Tisch wie der Rest der Familie auch. Ab und zu unterhält sich jemand mal mit ihnen. Wenn sie noch klein sind, liegen sie einfach an der Schulter von Mama, Onkel oder Oma und gucken und schlafen. Es wird auch immer mal mit ihnen ein einfaches Spiel gespielt, z.B. Fangen in der Gebetshalle, oder jemand zieht dem Kleinen auch mal lustige Fratzen. Spielzeuge gibt es zwar zu kaufen, aber ich habe sie selten im Einsatz gesehen. Am meisten in Erinnerung geblieben sind mir die Plastikgewehre in den Kinderhänden.

Ganz oft habe ich erlebt, dass Kinder ihrer Familie mit einfachen Tätigkeiten helfen: Stoffe lautstark und wedelnd anpreisen, faustgroße Teigklumpen bilden beim Brotbacken, Tee ausschenken, jüngere Geschwister betreuen. Die Schule des Lebens halt und das ist tatsächlich die Aufgabe der Eltern und dem Rest der Familie.

 

 

 

 

Wie dem auch sei. Das iranische Bildungssystem scheint zu funktionieren. Die Perser selbst jedenfalls sind zum Lernen wohl tatsächlich nie zu alt. Oder zu minderbemittelt. Oder arm oder einfach nur zu beschäftigt. Sie lernen, lernen, lernen und werden immer ihren Weg finden. Hoffentlich.

 

 


Infos:

 

Wenn du dich für das wirklich absolut empfehlenswerte Restaurant interessieren solltest, schau hier nach. Informiert euch, wann die Musiker spielen, die sind pfaumäßig gut.

 

Im Iran war ich im Juli 2017.