Gott und die Welt

Leben mit den Mullahs

 

Zwei der ungezählten Fragen, die ich vor meinem Aus-Flug in den Iran hatte, war: Wie lebt es sich mit oder unter den Mullahs? Wie weit hat sich das Land unter Präsident Rohani schon der säkularisierten Welt geöffnet? Und –ehrlich gesagt- auf diese Antworten war ich am meisten gespannt.

 

 

 

 

Ich muss sagen, ich staunte nicht schlecht, als ich in Teheran ankam. Kaum eine Frau lief in langen weiten schwarzen Klamotten rum. Im Gegenteil - hier war durchaus Platz für Individualismus: Farben, Stoffe, Schnitte, jede trug es anders. Allerdings waren sie alle nach dem gleichen Grundmuster gekleidet: Eine schmal geschnittene Hose mit einem halblangen Überteil (ÜBERteil? … nein, OBERteil!), geschlossene Schuhe und einen mehr oder weniger locker über das Haar gelegten Schal. Dessen eines Ende wurde oft über die Schulter zurückgeworfen, das andere hing vorne lang herunter. Sehr elegant und stilvoll sah das aus, wie ein Kranich. Ein ums andere Mal hing der Schal eigentlich auch nur noch auf dem üppigen Haarknoten der Damen. Das entspricht zwar nicht der Gesetzgebung des Landes, wird aber offensichtlich geduldet. Natürlich gab es auch immer wieder tschadortragende Frauen, je nach dem, in welcher Stadt ich gelandet war. Tschador heißt: sie waren in langen weiten schwarzen Gewändern gehüllt und trugen darüber noch einen bettuchgroßen ebenso schwarzen Stoff, den sie immer unter dem Kinn zusammenhalten mussten, eine äußerst unpraktische Angelegenheit. „Was passiert denn nun, wenn die Kleidung einer Frau die Duldungsgrenze der Sittenpolizei überschreitet?“, fragte ich meinen Freund Jamil. „Dann wird sie auf die Polizeiwache mitgenommen, sie bekommt eine Verwarnung und ein Verwandter muss ihr angemessene Kleidung bringen.“ Das war´s? „Naja, die ersten drei Male schon. Dann passiert mehr.“ Was denn? Ab da hüllte sich Jamil in Schweigen, wie manche Frauen in ihren Tschador. Angemessene Kleidung bringen? Eine originelle Idee.

 

 

 

 

Ich glaube, es ist gar nicht so einfach, Sittenpolizist zu sein. Einerseits ist der den Mullahs verpflichtet, andererseits –wie soll ich sagen?- achtet er auf eine gewisse Alltagstauglichkeit seines Amtes. Zwischen diesen beiden Sesseln sitzt er und muss sehen, dass er sich irgendwie bequem platziert. Wie im Beispiel oben. Ein anderes Beispiel habe ich in einem klitzekleinen Touristenort erlebt. Da hockte ich auf dem Geländer einer Bar. Am Nebentisch saßen zwei Männer und eine Frau und rauchten gemeinsam eine Wasserpfeife, die ihnen der Wirt gebracht hatte. Plötzlich eilte dieser zu ihrem Tisch und raunte ihnen zu, sie mögen doch die Wasserpfeife vorübergehend nur noch bei den Männern belassen. Die Sittenpolizei sei unterwegs. „Woher weißt du, dass die Sittenpolizei da ist?“, fragte ich ihn. „Man erkennt sie“, antwortete er. „Sie haben immer das gleiche Erkennungszeichen. Wie eine Uniform.“ Und tatsächlich: 10 min später kam ein gewichtig aussehender älterer Herr mit einem Gebetsperlenkranz in der Hand hereinspaziert, ließ seinen Blick über alle Gäste schweifen und ging wieder. So einen Perlenkranz hat bisher noch niemand in diesem Land zur Schau getragen. Kurz danach durfte die Frau auch wieder Wasserpfeife rauchen. Wieso machen die das? Wieso spielen sie das Spiel mit? Für die meisten Sittenpolizisten sei ihre Aufgabe eben einfach nur ein Job wie jeder andere auch, erzählte der Wirt. Ein zugegebenermaßen recht sicherer und gut bezahlter, aber eben nicht mehr und nicht weniger.

 

 

Fotostrecke

Sieht aus wie ein Fotoalbum. Ist aber keins. Meine Fotostrecke verbindet Bild und Text. Wenn du die Fotos anklickst, findest unter jedem passende Worte oder Sätze, alle zusammen erzählen meine Geschichte.

 

 

Das waren meine einzigen Begegnungen mit der Überwachung der Mullahs. Den gesamten Rest der Zeit, die ich im Iran unterwegs war, verbrachte ich völlig unbehelligt. Klar habe ich auch mit jemandem gesprochen, der wohl im Gefängnis gewesen ist, weil er „seinen Mund nicht halten konnte“ (so waren seine Worte). Von auf seinem Arm ausgedrückten Zigaretten hat er mir erzählt. Danach äußerte er sich nur noch in Andeutungen, aus denen ich schließen konnte, dass man ihn noch anderen, weniger harmlosen Folterungen unterzogen hat. Auch Säureanschläge auf liberaler gekleidete Frauen in Isfahan hat es ein paar Monate vor meiner Reise gegeben.

 

 

 

 

Aber prinzipiell sieht der Alltag der Perser für mich, den Reisenden, ziemlich normal aus: Die Menschen arbeiten, kaufen ein, treffen sich zum Palavern. Sie reden über Politik, über die Stadt, über das Wachstum der Melonen. Sie fragen mir Löcher in den Bauch, reden über Deutschland, über den Rest der Welt und erkundigen sich nach meiner Reise und meinen Eindrücken.

 

Wie so oft auf Reisen, habe ich auch im Iran den Eindruck, dass das alltägliche Leben der Menschen und die große Politik des Landes zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

 

 


Infos:

Mullah = islamischer Geistlicher

 

Im Iran war ich im Juli 2017.