Bonjour, how are you?

Polyglottes Volk

 

Die Sonne geht unter, es ist ordentlich warm und die Donau plätschert am Ufer vor sich hin. Manchmal brummt ein Motorboot an uns vorbei. Pelikane kreisen. Es ist ein schöner Sommerabend…

 

 

 

 

„Oui, c´est une situation très compliquée.” Mirella unterhält sich mit Yves. Ich sitze zwischen den beiden und bewundere Mirella sehr. Sie ist nämlich Rumänin und hat sich gerade eben noch mit mir fließend auf Englisch unterhalten. Von einem Moment auf den nächsten hat sie die Fremdsprache gewechselt und somit Yves in das Gespräch eingebunden. Den Sprachentausch vollzieht sie ohne Probleme und das auch, wenn es um kompliziertere Sachverhalte geht. In einer lustigen Polyglotterie und mit Wein und Bier haben wir uns nämlich am Abend vorher über Politik und das deutsche Bildungssystem unterhalten. Schließlich war ich ja mal Schulrabe und Mirella und ihre Freunde haben mir Löcher in den Flokati gefragt. Aber während ich mich mühsam durch meine englischen Sätze stottere und nur in etwa das ausdrücken kann, was ich sagen möchte, äußern sich die Rumänen mit ihrem großen Vokabular sehr leichtfüßig und treffend. Während ich den Französisch sprechenden Yves nur mit viel gespitzten Ohren, einigen Nachfragen und viel Nachdenken verstehe, können sie stante pedes antworten und mir durch Übersetzen helfen.

 

 

Manchmal schwirrte mir ganz schön der Kopf.
Manchmal schwirrte mir ganz schön der Kopf.

 

 

Genauso vielsprachig ist George, der Besitzer des Hotelschiffes, auf dem wir uns treffen. Ohne ihn könnten Yves und ich uns nur schwer verständigen, als wir tags darauf die einzigen Gäste an Bord sind. Aber mit Hilfe von George haben wir viel Spaß miteinander, wenn auch in einem geradezu verrückten Sprachgewirr: Ich spreche Englisch, was Yves meistens versteht. Yves spricht Französisch, was ich wiederum ein bisschen verstehe. George kann alles und immer wieder ist seine Übersetzungshilfe nötig, die wir dankbar annehmen.

 

 

Yves und ich
Yves und ich

 

 

George, Mirella und ihre Freunde sind übrigens keine Ausnahme, wie ich im Laufe meines Aus-Fluges feststelle. Immer wieder treffe ich auf Rumänen, die sowohl Englisch als auch Französisch sprechen und das mindestens auf passablem Niveau. „Woher zum Kuckuck könnt ihr das“, frage ich. „Das habe ich in der Schule gelernt“, antworten viele, speziell die jüngeren unter ihnen. Außerdem stelle ich fest: Es gibt kaum einen Rumänen, der nicht für eine nennenswert lange Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet hat. Die Häuslebauer im Karpatendorf sind nach Spanien ausgewandert. Der Arzt, mit dem ich mich auf einer Busfahrt unterhalten habe, wohnte zu dieser Zeit in Genf, war aber auch schon in Kanada, den USA… Die anderen Stationen waren einfach zu viele, ich habe sie vergessen. Der Automechaniker arbeitete in Irland, der Schlagzeuger gondelte sowieso mit seiner Band in Europa herum, viele lebten in Deutschland. Ein Volk nutzt die Welt. Aber genauso typisch ist, dass die Rumänen wieder in die Heimat zurückkommen. Nicht nur zu Besuch wie der Arzt, sondern dauerhaft, wie die Häuslebauer, die sich ja ihren Altersruhesitz „zu Hause“ bauen. Sie alle gehen ins Ausland, um mit einer gesicherten Lebensgrundlage in ihre Heimat zurückzukehren.

 

 

In der Hoffnung, dass rumänische Pferde auch polyglott sind, sprach ich dieses an. Aber es guckte nur irritiert.
In der Hoffnung, dass rumänische Pferde auch polyglott sind, sprach ich dieses an. Aber es guckte nur irritiert.

 

 

Das Sprachengewirr wurde geradezu babylonisch, als ich in dem Karpatendorf bei Gigi und Andra unterkam. Die beiden waren unfassbar gastfreundlich und freigebig bezüglich Essen, Worten und Sprachen. Sie hatten nämlich eine Zeit lang in Italien gelebt. Andra konnte deshalb recht gut italienisch, wovon sie sich wiederum das Französische ableitete, das sie in Genf gelernt hatte. Also redete ich in unseren äußerst amüsanten Gesprächen weiterhin Englisch, kriegte weiterhin Französisch zu hören, aber das war jetzt mit italienischen Worten durchsetzt. Die konnte ich aber durch meine eigenen Ableitungen und rudimentären Italienischkenntnisse gut verstehen. Außerdem sprach sie durch den sprachlichen Umweg so langsam, dass ich in Ruhe übersetzen konnte.Es kam sogar so weit, dass ich selbst Italienisch sprach, wenn mir dieses Wort zufällig als Erstes einfiel! Ich war ein bisschen stolz! Das ist der wirklich wahre Vorteil von Mehrsprachigkeit: Du nimmst einfach die Sprache, in der dir das Wort zuerst einfällt. Und das Tollste daran ist: Du hörst dich unglaublich polyglott und gebildet an, aber in Wirklichkeit ist es viel leichter als die richtigen Worte in einer einzigen Sprache mühevoll zu suchen. So reisten wir in unseren Gesprächen durch Rumänien, Frankreich, Großbritannien und Italien und das manchmal in nur zwei Sätzen. Es ist zwar sauanstrengend, aber es macht einen Möwenspaß!

 

 

Costel spricht Rumähnisch, Schafisch und Rabisch.
Costel spricht Rumähnisch, Schafisch und Rabisch.

 

 

Seitdem denke ich immer wieder über die rumänische Vielsprachigkeit nach. Das ist echt spannend. Ich erinnere mich an andere Länder: An Island, wo die Einheimischen in ein einheimisches Lokal gehen und erst einmal Englisch krä… - nein, reden. Ich denke an Deutschland, und mir fällt auf, dass all dies dort ziemlich undenkbar und ungewöhnlich ist. Warum eigentlich? Na, vielleicht liegt es daran, dass Rumänien ein Land ist, aus dem die Leute weggehen und Deutschland ist ein Land, in das die Leute hinwollen. Und Island, wie passt das da rein? Gar nicht, denn da wollen auch viele Saisonarbeiter hin (für die Touristen im Sommer), die Isländer selbst sind aber sehr offen gegenüber dem Britischen. Was glaubst du? Habe ich überhaupt Recht, wenn ich sage, dass Deutschland wenig offen für Fremdsprachen ist?

 

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Infos:

 

In Rumänien war ich im August 2016.