All you can eat

Esskultur

 

“Buona ziua – Welcome to my house!“ So begrüßen mich Gigi und Andra, meine Gastgeber für die nächsten paar Tage. Stolz zeigt Gigi mit weit ausschweifender Armbewegung auf die große Streuobstwiese um das Haus: „Hier ist mir!“ Nachdem ich das Gelände bewundert habe, begeben wir uns in das Esszimmer. Noch bevor ich meinen Reisebeutel in mein Zimmer bringen kann, kriege ich einen Begrüßungsimbiss. Er besteht aus Schnaps, reinen Fettstreifen, rohen Zwiebeln und Tomaten. Gute Güte! Das ist selbst für einen Allesfressermagen anspruchsvoll, zumal es ca. 16.00 Uhr ist. Aber eben diesem robusten Magen vertraue ich ein weiteres Mal in meinem Leben und stürze mich in das Abenteuer. Nach dem dritten Speckhappen bin ich tatsächlich recht froh über die rohe Zwiebel, weil sie den Fettgeschmack abmildert. Nach dem dritten Schnaps bin ich wiederum recht froh über die Fettstreifen, denn sonst würde ich den heutigen Abend nicht mehr bei Bewusstsein erleben. Und über die Tomate bin ich eh von Anfang an froh. So bekommt jeder noch so absurd wirkende Bestandteil dieses Imbisses seinen Platz und alles in allem ist es durchaus ein stimmiges Menü. Sehr osteuropäisch halt.

 

 

Auch dies wurde mir bei einem Tagesaus-Flug als kleiner Imbiss serviert.
Auch dies wurde mir bei einem Tagesaus-Flug als kleiner Imbiss serviert.

 

 

„Gehaltvoll“ ist überhaupt das Stichwort, das einen wichtigen Aspekt der rumänischen Esskultur beschreibt. Eine Mahlzeit, die Andra mit „Quelque chose legère“ („Etwas Leichtes“) ankündigt, ist ein Polenta-Auflauf mit folgenden Zutaten: Die Auflaufform wird mit einem Viertelstück Butter eingerieben. Dann kommen folgende Schichten hinein: Polenta, milder Käse, Eier, Polenta, herzhafter Käse, Butterflocken (wieder etwa ein Viertelstück).

 

 

Auf der Kingfisher (Hotelschiff im Donaudelta, "Infos" am Seitenende) hatte man Erfahrung mit westlicher Diäternährung. Die Mahlzeiten waren angenehm leicht.
Auf der Kingfisher (Hotelschiff im Donaudelta, "Infos" am Seitenende) hatte man Erfahrung mit westlicher Diäternährung. Die Mahlzeiten waren angenehm leicht.

 

 

Auch in anderer Hinsicht ist der Begrüßungsimbiss bezeichnend für die rumänische Ess- und Trinkkultur. Es gibt viel Alkohol. Der Rumäne an sich löscht seinen Durst auch am sonnenprallen Mittag mit Bier. In der Bukarester U-Bahn habe ich eine alte Dame (schick mit Hut, weißem Kleid und farblich abgestimmten Accessoires) beobachtet, die aus ihrer Lederhandtasche eine Bierflasche mit Schraubverschluss zog, einen Schluck nahm und die Bouteille wieder einsteckte. Wann immer ich äußerte, Durst zu haben, war Gigis Antwort: „Drink a beer.“ Vor dem Frühstück stellte er mir einen Schnaps auf den Teller mit den Worten: „Medicine“. Der zweite wurde begründet mit: „Vitamines“. Der dritte war für „Common health.“ Dann hatte Andra den Tisch fertig gedeckt und das Frühstück begann.

 

 

 

 

Ein weiteres wichtiges Wort, das auf die rumänischen Mahlzeiten zutrifft, ist „üppig“. Der Grillfleischberg, der lediglich mich und meine Gastgeber sattkriegen musste, war deutlich größer als ich. Kneifen war erst spät erlaubt. Zunächst musste ich mehrmals der Aufforderung nachkommen: „Eat! Eat it all.“ Danach erst hatten die beiden ein Nachsehen mit mir. Wenn man übrigens Vollpension gebucht hat so wie ich, gibt es am Tag zwei Mal eine anständige warme Mahlzeit (und Frühstück natürlich). Und eine solche anständige Mahlzeit besteht IMMER aus drei Gängen. Ich hatte zwar nicht für alle Tage meines Aus-Fluges Vollpension gebucht, aber auf diese Weise habe ich trotzdem mehr Drei-Gänge-Menüs gegessen als ich Tage in Rumänien verbracht habe.

 

 

Diese zwei Stück panierter Käse sind die Vorspeise.
Diese zwei Stück panierter Käse sind die Vorspeise.

 

 

Geschmacklich war der ganze Aufenthalt eine Offenbarung. Es gab fantasievolle Rezepte wie z.B. Hasenbraten mit gegarten Kiwi und Trauben und viel Dill. Einfache Rezepte, die durch einen simplen Trick sehr wirkungsvoll wurden wie z.B. Auberginencreme aus über dem Holzfeuer gerösteten Auberginen. Die Zutaten waren immer frisch. Ein ums andere Mal legte ein Fischer am Hotelschiff (s. "Infos" am Seitenende) an und George, der Besitzer, kaufte für das Abendessen dieses Tages ein. Oder er machte bei einer Bootstour bei einem Jäger halt und kaufte Wild. Obst, Gemüse und Milch wurden auf dem Markt gekauft oder direkt beim Erzeuger. Einmal begleite ich George an seinem Einkaufstag. Der hat folgenden Stationen: Den Markt für Obst, Gemüse und Käse – den Supermarkt für Mineralwasser, Salz, Öl u.ä. – die Bäckerei für das Brot – den Milchbauern für die Milch – die schwimmende Tankstelle für den Bootstreibstoff. Am Ende roch es in seinem Auto nach frischem Brot und Benzin und mir schwindelte von den vielen Eindrücken und dem Geruch.

 

 

 

 

Ich habe mal gehört, dass es Filmschauspieler gibt, die extra für eine Rolle richtig viel essen, damit sie dicker werden. Jedem, der in dieser Zwickmühle steckt, kann ich wärmstens eine Reise nach Rumänien empfehlen. Das erweitert nicht nur die eigenen Ausmaße, sondern auf höchst vergnügliche Weise auch den Horizont.

 

 


Infos:

 

Hier kommst du auf die Homepage der Kingfisher. Es gibt zwei Buchungsoptionen: Entweder seid ihr bis zu 16 Leute, dann könnt ihr das ganze Schiff mieten und auch den Standort wechseln. Oder ihr seid deutlich weniger, dann liegt sie in Uzlina (einer Ansammlung von etwa 5 Hotels mitten im Delta) und ihr mietet euch ein wie in einem Hotel. Dann stimmt das auf der Homepage angegebene Programm nicht mehr, denn ihr macht die Tagesausflüge mit dem Motorboot in beliebiger Reihenfolge.

 

In Rumäniens Süden war ich im August 2016.