Vater unser... dein Reich komme

Göttlichkeit in und um Guadalupe

 

„Boah, ist das gülden hier! Und riesig! Und überhaupt: Was für eine Pracht!“ Gerade bin ich mit einer Führung durch das Kloster Guadalupe geflattert. Nun hocke ich auf dem Platz vor dem reichlich verzierten Portal und bin schwer beeindruckt. Himmel, da können ja 8 Flamingo-Kolonien drin wohnen! Und selbst die Pracht von Paradiesvögeln nimmt sich im Vergleich eher bescheiden aus. Ehrfurchtgebietend finde ich die ganze Anlage. Jeder Stein, jede Fuge strahlt Macht aus. Zur Blütezeit des Klosters war das auch ganz klar der Auftrag dieser Gebäude: Machtdemonstration.

 

 

 

 

Zwei Tage später bin ich immer noch in der Nähe von Guadalupe. Wieder hocke ich im Angesicht einer kirchlichen Anlage. Und doch ist alles so anders. Das hier ist eine kleine Kapelle, mitten in der Natur gelegen. Sie steht auf einem umfriedeten Grundstück, das ausgestattet ist mit Picknicktischen im Schatten großer, sorgsam angepflanzter Bäume. Drei Robinien stehen in voller Blüte, summen vor lauter Bienen und duften süß, schwer und frisch. Viele meiner Artgenossen fliegen umher und veranstalten ein mannigfaltiges Gezwitscher. Von Staren ist eine Art Knistern zu hören, eine kurze Tonfolge wie von einem Xylofon, ein leises Klacken und ein Ton, der klingt, als würde ein Glasstab leicht angeschlagen. Der Wind raschelt in den Bäumen und kühlt mir meinen Flokati. Außer den Vögeln und dem Wind in den Blättern ist nichts zu hören. Bänke und Tische sind gut in Schuss, alles sieht so aus, als würde sich jemand ab und zu darum kümmern. Man hat sogar Mülltonnen aufgestellt und offensichtlich werden sie regelmäßig geleert.

 

 

 

 

Ich fühle mich willkommen, auch wenn niemand da ist, der mich freudig begrüßt. Die Anlage tut das mit ihrer Gepflegtheit und ihrer einladenden Abgeschiedenheit. Und wie ich da so auf der Bank hocke, werde ich immer entspannter, ruhiger und auch nachdenklicher.

Ich bin nun wirklich kein gläubiger Vogel (das sind Vögel übrigens nie). Aber ich habe mich mal ein bisschen damit beschäftigt und hier muss ich irgendwie an das denken, was ich damals über Gott gelernt habe. Gott liebt die Menschen wie sie sind, jeden einzelnen nimmt er an mit all seinen Stärken und Fehlern. Er tut ihnen Gutes, indem er z.B. tröstet und zum richtigen Handeln anleitet (10 Gebote). Er wünscht sich, dass genau dies die Menschen untereinander auch tun. Das drückt er aus mit dem Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben. Wenn also ein Zweibeiner an Gott glaubt und sich von ihm geliebt fühlt, dann sollte er es Gott gleichtun, seine Mitmenschen so annehmen wie sie sind und gut zu ihnen sein. Wenn alle Menschen dies tun und friedlich miteinander leben würden, dann nennt das die Bibel „Gottes Reich auf Erden“. Das ist eine echt schwere Aufgabe für euch Zweibeiner und ich schätze, es wird laaaaaaange, lange Zeit dauern, bis das Reich Gottes den ganzen Erdball umfasst. Aber ganz viele kleine Fitzelchen gibt es schon, nämlich immer dort, wo jemand von euch sich von Gott geliebt fühlt, selber seine Mitmenschen so akzeptiert wie sie sind und gut zu ihnen ist. Und hier an dieser kleinen Kapelle findet dieses Gutsein statt, indem es jemand gastlich macht für Wandernde und Ausfliegende. Vielleicht begann dies sogar schon bei der Platzwahl, denn die Stille und Abgeschiedenheit tun ihr Übriges. Ist dieses kleine Fleckchen Erde damit nicht viiiiiiiieeeeeel näher an den Ursprüngen des christlichen Glaubens als das Kloster in Guadalupe?

 

 

 

 

Das alles geht mir angesichts dieses kontemplativen Platzes durch meinen kleinen Rabenkopf und ich frage mich: Ist gerade das vielleicht der tiefere Sinn dieses Ortes?

 

 


Infos:

Infos über Guadalupe findest hier.

Das ist die offizielle spanische Tourismusseite über Guadalupe.

 

In der Extremadura war ich im April 2023.