Für die Philosophen und Denker unter uns

Kloster Niederalteich

 

Ihr Lieben, ich werde euch hier von einem meiner persönlichen Höhepunkte dieser Reise erzählen. Ich habe nämlich hier im Kloster Niederalteich einen so besonderen Menschen getroffen, dass es mir auch heute noch schwerfällt, von ihm zu erzählen. Er ist so klug, so respektvoll und tolerant, so… ja so beseelt von allem was er tut, dass ich es beinah kaum fassen kann. In dem Gespräch mit ihm steckte so viel Tiefe und Persönliches, dass ich mir gar nicht sicher bin, ob ich das hier an dieser Stelle alles angemessen wiedergeben kann. Er möge es mir verzeihen, wenn dem nicht so ist.

 

Er war der einzige, wirklich der EINZIGE Mensch auf dieser Reise, der mich direkt angesprochen hat: „Na, wer bist denn du?“ Tja, ich bin halt auch nur ein Mensch und direkte Ansprache kommt immer gut, auch bei mir. „Ich bin Ernesto und ich bin unterwegs“, habe ich deshalb stolz gekrächzt. So kamen wir ins Gespräch. Er hat ein sprechendes Nilpferd zu Hause und das sagt „Echt?“ ungefähr so wie ich, hat er erzählt. Und das Nilpferd sagt: „ So ist das Leben: Mal ist man der Hund, mal der Baum.“ Er hat auch einen Dinosaurier zu Hause, aber der ist schon ziemlich alt.

Geboren wurde er im schönen Neuburg. Er ist Diplom-Pädagoge und hat für die äh-… Caritas in Verona und Brixen gearbeitet (heißt das Ding „Caritas“?). Eher zufällig wechselte er ins Hotelfachgewerbe, arbeitete sich von einem Aushilfsjob hinauf bis zur Geschäftsführung. Nebenher engagierte er sich maßgebend im Regionalmarketing. Er half in Las Vegas bei der Einführung eines Computersystems für die Hotelbranche. Ein halbes Vogelleben später übernahm er eine Gaststätte an der schönen Donau. So viel mal zu den beeindruckenden und beileibe immer noch nicht vollständigen Fakten.

 

In Niederalteich ereilte ihn ein Herzinfarkt mit einem Herzstillstand. Zum Glück war er zu einer Untersuchung sowieso im Krankenhaus. Man hat ihn 27 min reanimiert. Danach lag er zwei Wochen im Koma. Nach weiteren drei Monaten stand er wieder hinter der Theke. Der gute Mann ist eben zäh wie zu lange gebratener Truthahn.

Im Koma hatte er oft das Gefühl, zu träumen. Nach dem Aufwachen notierte er seine Traumerlebnisse, nach und nach wurden es bis zu dreihundert Seiten - ein Buch, so dick wie meine Füße platt sind. Als er diese Texte Bekannten und Verwandten zu lesen gab, stellte sich heraus, dass viele der Träume einen Bezug zu realen Handlungen hatten, die im Krankenhaus um ihn herum stattgefunden hatten. Fazit: Ein Komapatient nimmt seine Umgebung wahr! Zwar nicht mit den messerscharfen Sinnen eines Raubvogels, aber egal. Was für eine wichtige Erkenntnis! Ganz besonders für die Angehörigen, die immer wieder den Sinn ihrer zeitraubenden, zermürbenden und scheinbar unsinnigen Besuche hinterfragen. Was für ein Trost und Antrieb! Das findet er selbst auch und deshalb engagiert er sich seitdem in der Betreuung von Koma- und Palliativpatienten und deren Angehörigen.

Naturgemäß hat er über den Tod nachgedacht seitdem. Sterben hat für ihn immer etwas zu tun mit loslassen oder vielmehr – loslassen KÖNNEN. Ein todkranker Mensch stirbt manchmal erst dann, wenn er alles geklärt oder noch erlebt hat, was ihm wichtig ist. Das Gleiche gilt auch für die Angehörigen. Die sollten ebenso bereit sein, den Sterbenden gehen zu lassen. Nach dem Tod ist der Verstorbene noch immer ein bisschen lebendig, solange hinterbliebene Freunde oder Angehörige noch an ihn denken und dessen Ideen und Denkweise in sich tragen.

Weil ich ja unterwegs bin, haben wir uns natürlich auch über das Reisen unterhalten. Er glaubt auch, dass es wichtig ist, andere Kulturen kennen zu lernen. Weil man sich selbst dann besser reflektieren kann. Und weil man sich bildet, finde ich. Aber wir beide haben uns die Meinung „erreist“, dass man die „Volksseele“ am besten kennen lernt, wenn man direkten Kontakt zu den Einwohnern hat. Und wir kommen überein, dass man dort in dieser fremden Gegend Gast ist und sich unbedingt auch so benehmen sollte: Vor allen Dingen respektvoll und höflich. Das öffnet einem Heimatvertriebenen durchaus mal das osteuropäische Familienarchiv, statt dass sie den Eindringling mit Knüppeln vertreiben, weil sie glauben, man will sich „sein“ Haus wiederholen. Sagt er. Aber wem erzähle ich das, ihr kennt euch da bestimmt genauso gut aus wie ich.

Wir kommen vom Blättchen aufs Stöckchen und flugs sind wir beim Thema Vertrauen angelangt. Auch da sind wir uns schnell einig: Jeder Mensch braucht einen Vertrauensvorschuss (und hat ihn auch verdient, finde ich). Zusammen mit ein bisschen Raum für Eigenverantwortung spricht er die gute Seele im Menschen an und spornt ihn zu gutem Verhalten an. Ist ganz wichtig in der Kindererziehung, aber auch in der Menschenführung im Allgemeinen.

Vom Stöckchen kommen wir aufs Hölzchen und unterhalten uns einen Moment später über die Leitung eines wirtschaftlichen Unternehmens. Seiner Meinung nach ist das Geldverdienen ein Nebeneffekt, aber nicht das Ziel des Arbeitens. Wenn man Tätigkeiten mit Herz und Engagement ausführt, wird sich das Geldverdienen von allein einstellen. In einem Restaurant zum Beispiel: Ziele sind ein freundliches Bedienen, sorgfältige Aufmerksamkeit und unkomplizierte Bewirtschaftung. Führt man das gut aus, kommen viele Gäste und sorgen dafür, dass der Wirt Geld verdient.

Über solche und viele andere Themen ähnlicher Art haben wir gesprochen und flugs war es mitten in der Nacht! Ich muss doch morgen wieder arbeiten! Also: Nichts wie heim in mein Nest in der Privatunterkunft und schlafen. Das habe ich dann auch tief und fest getan, obwohl es noch so viel gab zum Weiterdenken.