Eine Schirmmacherwerkstatt, die von Touristen besucht werden kann.
Eine Schirmmacherwerkstatt, die von Touristen besucht werden kann.

Toll, dass wir uns treffen!

Tourismus in seinen Anfängen

 

Ich bin unglaublich gern unterwegs und liebe es, fremde Menschen, Länder und Kulturen kennen zu lernen. Das wisst ihr. Trotzdem habe ich die heutige Form des Tourismus immer sehr kritisch betrachtet, weil er im besuchten Land so Vieles kaputt macht: Natur, Traditionen, Ursprünglichkeit, Authentizität.

 

 

Begegnung auf Schnabelhöhe
Begegnung auf Schnabelhöhe

 

 

In Myanmar habe ich zum ersten Mal die positiven, ursprünglichen Aspekte des Fremdenverkehrs entdeckt. Und das hat mich mehr denn je berauscht! In diesem schönen Land waren weder kleine schwarze Plüschraben noch Zweibeiner in nennenswerter Zahl unterwegs. Somit war ich quasi ein Reisepionier und deshalb war die Begegnung mit den dort lebenden Menschen völlig anders als ich es gewohnt war. Für sie war ich genauso neu und exotisch wie sie für mich. Sie waren genauso neugierig auf mich wie ich auf sie. Darum gingen wir beide aufeinander zu und weil keine Tourimassen zwischen uns standen, konnten wir uns ein bisschen annähern. Wir begegneten uns sozusagen auf gleicher Schnabelhöhe und nicht im Begaffermodus wie im Zoo. Für die Einheimischen ging es nicht darum, mir das Geld aus dem Flokati zu ziehen, um mit mir und den paar anderen Reisenden den großen Reibach zu machen. Der Kommerz regierte nicht ihr Handeln. Sie sagten „Hallo“ um mich zu grüßen und nicht, um auf ihren Verkaufsstand aufmerksam zu machen. Ich konnte ein Kaufangebot freundlich krächzend ablehnen, weil ich nicht zu oft angesprochen wurde. Ich feilschte nicht flügelschlagend um den mir genannten Preis, weil ich mir sicher war, dass dies der reale Wert ist. Er enthält keinen Orts- und Touristenzuschlag, sondern gilt für Einheimische gleichwohl wie für Fremde. Ich sage euch: Das war sowas von angenehm!

 

 

Die "Zentrale" eines Schirmes in der Handfertigung
Die "Zentrale" eines Schirmes in der Handfertigung

 

 

Ich bin auch der Überzeugung, dass Fremdenverkehr einerseits speziell alte Handwerkskünste einer Kultur zerstört, weil mit ihm der Kommerz und somit auch maschinell gefertigte Produkte Einzug halten. Aber andererseits kann maßvoller Tourismus durchaus zur Erhaltung der Volkstraditionen beitragen. In Myanmar habe ich mehrere Beispiele dafür erlebt: In den uralten Stücken des Marionettentheaters werden die erzählten Geschichten quasi mit dem Anfang der Welt begonnen. Deshalb sind die ersten Szenen oder gar Akte immer wieder gleich, erst spät nehmen die Handlungen ihren individuellen Lauf. Die Vorstellungen sind aus diesem Grund in der Regel so lang, dass selbst Nachteulen einschlafen und sie werden immer seltener aufgeführt. Die meisten Marionettenveranstaltungen finden mittlerweile für die Urlauber statt – zwar nur ausschnittsweise, aber sie finden noch statt.

 

 

Traditionell herstellte Zigarre
Traditionell herstellte Zigarre

 

 

Darüber hinaus gibt es Schauwerkstätten von Zigarrendrehern, Schmieden, Lackwarenherstellern, Seidenspinnern und -webern. Selbst einige Fischer am Inle-See zeigen ihre einbeinigen Balanceakte auf dem Boot ausschließlich für die Fotolinsen der Fremden. Aber in abgelegeneren Landesteilen prägen die alten Handwerke und Traditionen das alltägliche Leben weiterhin, hat mir ein Wasservogel erzählt. Deshalb wissen die „Schausteller“ noch um die Ursprünge und Hintergründe der herkömmlichen Berufe. Und das finde ich sehr wichtig.

 

 

Hier wird Lotosseide gewonnen, indem man die Stiele der Lotosblume bricht und auseinanderzieht. So werden die innenliegenden Seidenfäden freigelegt.
Hier wird Lotosseide gewonnen, indem man die Stiele der Lotosblume bricht und auseinanderzieht. So werden die innenliegenden Seidenfäden freigelegt.

 

 

Übrigens haben die Myanmaren das Verhältnis zwischen Touristen, Einheimischen und Traditionen manchmal auf sehr angenehme Weise geklärt. Einmal flatterte ich durch ein traditionell erhalten gebliebenes Dorf. Es war ganz offiziell ein Museumsdorf. Das bedeutete, dass die Menschen dort ihre Lebens- und Arbeitsweisen offensichtlich zur Schau stellen. Genauso offensichtlich durften ich und die anderen Besucher Fotos machen und genauso klar war, dass wir den Einheimischen Geld dafür gaben, weil dies ihr neuer Lebensverdienst ist. Es ist das Gleiche wie mit einem Teil der Fischer am Inle-See: Sie verdienen ihr Geld nicht mehr mit Fischefangen, sondern mit dem Demonstrieren ihrer Fischfangtechniken. Alle Beteiligten wissen um diese Inszenierung und können deshalb sicher damit umgehen. Sehr angenehm!

 

 

Die "Schaufischer" erkennt man an der malerisch-gepflegten Kleidung.
Die "Schaufischer" erkennt man an der malerisch-gepflegten Kleidung.

 

 

Nachdem ich im paradiesvogelschönen Myanmar das Reisen in seinen Ursprüngen erleben und beobachten konnte, ist mir noch einmal bewusst geworden, wie fragil das System des Fremdenverkehrs ist. Wie schonend er sein muss, damit er sowohl Reisende als auch Einheimische bereichert. Tourismus muss so maßvoll sein, dass er einen respekt- und würdevollen Umgang der Menschen miteinander möglich macht. Denn nur dann trägt er auf richtige und sinnvolle Weise zur Völkerverständigung bei.

 

 

Nicht sehr respektvoll, aber trotzdem irgendwie sympatisch (finde ich).
Nicht sehr respektvoll, aber trotzdem irgendwie sympatisch (finde ich).

 

 

Wenn dann noch die Menschheit in der Lage wäre, aus den Fehlern anderer Zweibeiner zu lernen (statt die Erfahrungen der anderen selber machen zu müssen)… Dann würde sich zum Beispiel ganz schnell herumsprechen, wie der Reiseverkehr umweltverträglich gestaltet werden könnte. Dann würde sich auch ganz schnell herumsprechen, dass der Kapitalismus durchaus Denkfehler hat, dass Geld und Konsum nicht das Wichtigste auf der Welt sind. Dann würde auch ganz schnell die Nachricht die Runde machen, dass Vielfalt und Authentizität für die Buntheit dieser Welt verantwortlich sind und somit das Reisen überhaupt erst interessant und spannend machen. Und dann… könnte der Fremdenverkehr durch den Kulturaustausch und die Völkerverständigung die Welt wirklich nachhaltig verbessern.

 

 


Infos:


In Myanmar war ich zum Jahreswechsel 2014/15.