Menschen und ihre Geschichten

Privatzimmer

Ein Kopfkissen-Nest!
Ein Kopfkissen-Nest!

 

 

Kinder, Kinder, wer Menschen kennen lernen will, muss in Privatzimmern übernachten! Auf meinem Donau-Aus-Flug habe ich das gemacht, wo immer es ging. Ja, es geht tatsächlich nicht immer, denn nicht in jedem Ort gibt es private Unterkünfte. Und wenn es welche gibt, liegen sie nicht immer zentral. Das war mir aber wichtig, denn ich wollte mir das Dorf, das Städtchen abends zu Fuß erschließen. Schließlich hatte ich es ja bei meiner Ankunft schon von oben betrachtet. Perspektivenwechsel sind halt nun mal wichtig beim Reisen. Und ihr ahnt, dass Laufen nicht meine Stärke ist. Deshalb war eine gewisse Zentralität für mich sehr entscheidend. Andererseits stellte ich fest: In manchen Ansiedlungen gibt es keine unzentrale Lage. Und last but not least: Manche Vermieter nehmen kleine reisende Plüschraben einfach nicht ernst.

Egal, jedenfalls werden Privatzimmer nach meinen Erfahrungen IMMER von älteren bis alten Damen betrieben unter verschieden ausgeprägter Einbindung des ggf. noch lebenden Ehemannes. Diese Damen sind fast immer sehr gesprächig. Sie erzählen von ihren Gästen (Was wird sie wohl später von mir weitererzählen? Wird sie überhaupt von mir berichten?). Sie erzählen aus ihrem Leben. Zu meiner unbändigen Freude lassen sie die uninteressanten Teile weg.

 

 

Neuburg, ein glanzstarschönes Städtchen
Neuburg, ein glanzstarschönes Städtchen

 

 

In Neuburg z.B. kam ich bei einem Ehepaar unter, bei denen alle, wirklich ALLE, Wände so dicht und zahlreich mit Bildern behängt waren, dass ich spontan an eine Flamingo-Kolonie denken musste. Zum Glück sahen sich die Bilder nicht so ähnlich wie die Flamingos. Im Gegenteil, sie waren so unterschiedlich und vielfältig wie Papageien. Aquarelle, Öl, Acryl, Collagen, gegenständlich und abstrakt, Imitationen von Hopper, Hundertwasser, Macke, Monet. Das war so ungefähr die Spannweite. Gemeinsam war allen, dass sie eine beachtliche Qualität hatten. Natürlich fragte ich danach und es stellte sich heraus, dass der Hausherr nicht nur die Bettwäsche der Gäste wusch, sondern auch für die Entstehung dieser Werke verantwortlich war. Es fing mit einem VHS-Kurs an, den er vor ca. 7 Jahren geschenkt bekam, da er schon immer gerne malte. Dort blieb er einige Jahre „hängen“, bis er feststellte, dass ihm der Kursleiter nicht mehr viel beibringen konnte und von da ab malte er ohne VHS weiter, aber genauso eifrig. Dem Vogelgott sei Dank, es war zu diesem Zeitpunkt unserer Unterhaltung noch keines der anderen Zimmer bezogen und so bekam ich zusätzlich zum Privatzimmer auch noch eine Privatführung durch das gesamte Haus: sämtliche Gästezimmer, Wohnzimmer, Küche, ich bekam einfach alles zu sehen, worin Bilder hingen. Tolle Sammlung!

 

 

Das idyllische Scheer
Das idyllische Scheer

 

 

Auch in Scheer, flussabwärts ganz kurz hinter Sigmaringen gelegen, fand ich ein adäquates Privatzimmer. Mal wieder kam ich unter bei einer alleinstehenden älteren Dame in einem Haus, das bis ins kleinste Detail noch original aus den 1950er Jahren stammte. Angefangen bei der Bausubstanz über die Möbel bis hin zu den Kissenbezügen. Alles in einem tiptop gepflegten Zustand. Die Zimmer der Einliegerwohnung vermietet sie nun einzeln an Donautouristen. Frühstück gab es auf der Terrasse vor dem Zimmer mit Blick auf das prachtvolle Blumen- und Gemüsebeet, das sie samt dem riesigen Garten mit ihren ca. 80 Jahren ganz alleine aufs Beste pflegt. Ich sprach sie auf die Nepalfotos im Flur an. Daraufhin erzählte sie Folgendes: Anfang der 1990er Jahre arbeitete ihr Schwiegersohn im Rahmen eines Entwicklungshilfe-Projektes als Förster in Nepal. Das Paar war insgesamt mehrere Jahre dort, ihre älteren Kinder kamen dort zur Welt. Der Älteste muss kurz nach der Übersiedlung geschlü… auf die Welt gekommen sein. Er lernte Nepali und Englisch, da er sein erstes Schuljahr auf einer englischen Schule für die Kinder der Entwicklungshelfer bestritt. Später studierte er prompt Indologie. Noch später begann er für das Rote Kreuz zu arbeiten: In Kaschmir, Pakistan und zur Zeit in Afghanistan. Selbstverständlich hat er auch diese Sprachen alle gelernt. Die hat ihm das Rote Kreuz beigebracht. Nach Nepal hat er auch noch Kontakte und fährt regelmäßig dorthin. So werden also Kosmopoliten gemacht.

 

 

Komplizierte Physiognomie in Ehingen
Komplizierte Physiognomie in Ehingen

 

 

Zum Übernachten in Privatzimmern muss man allerdings eine gewisse Bereitschaft mitbringen, sich in die Gegebenheiten einzufügen. Des Öfteren teilt man sich das Bad mit den Gästen der anderen Zimmer. Manchmal bekommt man ein hübsch eingerichtetes Zimmer im Keller. Ein ums andere Mal macht man eine Zeitreise in vergangene Jahrzehnte. Komplizierte Physiognomien der schätzungsweise 24x umgebauten Häuser erschweren die Orientierung. Man muss sich typischem Verhalten von resoluten Hauswirtinnen stellen, die schon zu Zeiten an Studenten vermieteten, als man sich noch für seine Mieter, deren Verhalten und für die Einhaltung von Recht und Ordnung im Haus verantwortlich fühlte. So etwas äußert sich dann in einem völlig automatisierten Bombardement von Anweisungen bei der Einführung ins Haus: „Wenn Sie aus der Badewanne steigen, halten Sie sich nicht am Waschbecken fest, sondern an der Handtuchstange hier auf der Seite.“ – „Die Schuhe ziehen Sie bitte vor der Zimmertür aus.“ Im Eifer des Gefechtes wurde gar nicht bemerkt, dass ich höchstwahrscheinlich nicht aus der Badewanne STEIGEN werde und dass ich gar keine Schuhe trage.

 

 

Haus aus den glanzvollen Zeiten Beurons
Haus aus den glanzvollen Zeiten Beurons

 

 

„Einen Schlüssel brauchen Sie nicht, wir sind bis um elf wach und bis dahin sind Sie sowieso wieder hier.“ Diesen letzten Satz bekam ich in Beuron zu hören. Beuron – das ist tatsächlich nicht nur das berühmte Kloster, es gibt auch einen Ort dazu. Bezeichnenderweise liegt er HINTER dem Kloster und ist so klein, dass jedes Haus dort einfach zentral liegen MUSS. Und er ist so klein, dass es nach 22.10 Uhr schier unmöglich ist, NICHT den Heimweg anzutreten. Folglich ist es ebenso unmöglich, nach elf Uhr abends nach Hause zu kommen, selbst wenn ich kurzbeiniger Rabe zu Fuß gehen würde. Auf diesen Sachverhalt zielte auch der Satz meiner Gastgeberin ab. Er sollte mich beileibe nicht nach Hause zitieren. Übrigens fällt mir da noch eine Anekdote ein, die die Kleinheit dieser Ansiedlung hervorragend veranschaulicht: Meine Gastgeber haben 5 Kinder großgezogen. Sie schwärmten mir von den Zeiten vor, in denen im Ort noch richtig was los war. Das war die Zeit, in der die Grundschule von 15 Kindern besucht wurde. Kombiniere: Ein Drittel aller Kinder im Dorf stammte von meinen Gastgebern.

 

 

 

 

Solche und andere höchst liebenswerte, interessante Menschen samt ihrer Geschichten machen das Übernachten in Privatzimmern zu einem Reiseerlebnis allererster Güte. Und bei der Schwärze meines Flokatis: Ich finde, das ist nicht aufzuwiegen mit dem bisschen mehr Luxus, den ein Hotel für gewöhnlich bietet. Apropos Geld: Günstiger als Pensionen oder Gasthöfe sind die Privatunterkünfte in der Regel auch noch.

Aber in dem folgenden Hotel hätte ich doch zu gerne übernachtet. Jedoch entdeckte ich es in Inzigkofen (im klösterlichen Kräutergarten am Park) und das passte leider überhaupt nicht in meine Etappenplanung. Trotzdem, ich zeige es euch mal, weil ich finde, dass es sehr einladend und gemütlich aussieht:

 

 


Infos:

 

Privatzimmer Beuron: Haus Weinhold, Wolterstr. 9, Tel.: 07466 – 910098

Privatzimmer Scheer: Fr. Eisele, Am Grabenweg 4, Tel.: 07572 - 2198

Privatzimmer Neuburg: Pension Reissner, Mühlenweg 25 ½, Tel.: 08431 – 44067

 

Park Inzigkofen: Homepage der Stadt

Kloster Inzigkofen bei wikipedia

 

An der Donau war ich im Juli 2012.