Ich dachte ja immer, Paradiesvögel und Hühner wären verrückt und haben nicht alle Tassen im Schrank. Aber Menschen sind ja noch viel faszinierender. Manche von ihnen haben nämlich einen ganzen Schwarm Paradiesvögel im Kopf. „Der Weise“ ist einer von ihnen.
Unterwegs ist er und zwar mit seinem bepackten Fahrrad. Mit seiner Knochenkette, dem Lederhut und den verbrauchten Klamotten sieht er aus wie Crocodile Dundee. Ich unterhalte mich mit ihm etwa eine Stunde und in dieser Zeit putzt er eine Rotweinflasche weg. Einen Rotwein übrigens, den ich mir laut seiner Aussage nicht leisten könne, so teuer sei er. Aber ich könne gerne mittrinken. Ich lehne dankend ab, mit dem Hinweis, dass ich noch fliegen müsse und die Flugsicherung in Bezug auf Alkohol am Flügel sehr streng wäre. Ich höre ihm lieber gebannt und atemlos zu, denn er erzählt mir das Folgende (übrigens mit vollem Ernst, dafür aber wesentlich wirrer und ungeordneter).
Er ist der Sohn von Zeus und Aphrodite („die aus der ägyptischen Kultur“). Außerdem ist er unsterblich und momentan verbringt er sein viertes Leben auf diesem Erdboden. Für jedes seiner Leben hat er einen Knochen an seiner Halskette hängen. Seine Frau ist schon seit ein paar Leben bei ihm. Sie haben sich beim Wein trinken kennen gelernt. Einmal hat sie ihm ein Messer in den Bauch gerammt und sein Blut getrunken und deshalb ist auch sie unsterblich. Ich muss ihn wohl ziemlich ungläubig angeschaut haben, denn plötzlich er fordert mich auf: „Doch das stimmt, probier´s aus! Komm, ich gebe dir ein Messer und du stichst es mir in den Bauch. Kannst du ruhig machen, mir passiert nichts, hab´ ich schon oft überlebt.“ Wie auch beim Rotwein lehne voller Überzeugung ab, diesmal mit der Anmerkung, dass weder mein Schnabel noch meine Flügel dazu geeignet seien, ein Messer zu halten. Er sei nicht nur unsterblich, sondern auch ewig jung, da er die Quelle des Lebens gefunden und aus ihr getrunken habe. Er verrät mir aber nicht, wo sie ist. Nur so viel: Er hat auf der Suche nach ihr diabetisch sprechen gelernt.
Momentan ist er mit seinem Fahrrad auf dem Weg nach Freiburg. Ihm gehören eine ganze Menge Apotheken überall in Deutschland und er überlegt, sich dort eine weitere zu kaufen. Die wolle er sich ansehen und wenn sie ihm gefällt, dann macht er es wie bei den anderen: Er geht hinein, bietet dem Besitzer eine halbe oder ganze Million „und dann verkaufen sie schon“. Ich weiß wirklich nicht, wieso, aber ich muss ihn wieder ungläubig angeschaut haben. „Doch, doch“, sagt er. „ Ich habe mehrere Millionen auf meinem Konto. Bei einer Bank in Frankreich.“ Dort ist er so ein guter Kunde, dass sie ihm einen sehr wertvollen Ohrstecker aus echtem Edelstein geschenkt haben, als Ehrenauszeichnung. Er hält mir sein fleckiges Ohrläppchen, in dem ein zerkratztes „Schmuckstück“ steckt, vor die Augen. Das Muster auf dem Quadrat könnte tatsächlich das Emblem einer Bank sein. Aber ganz ehrlich: Der Stecker auf der Rückseite sah eher wie der einer Brosche aus und von einem Edelstein war weit und breit nichts zu sehen. Nicht einmal Edelmetall. War wohl eher die Anstecknadel, die Neukunden als Werbegeschenk bekommen. Und selbst die wird er noch auf der Straße gefunden haben.
Von seinem Geld hat er sich schon vor vielen Jahren eine Yacht gekauft. Die liegt in Frankreich am Meer, „nicht am Ozean, der ist ja bei Indien, da ums Kap Hoorn, sondern an dem Binnenmeer. An dem großen, wie heißt das denn bloß?“ Halblaut nachdenkend brabbelt er vor sich hin. Ich lasse ihn in Ruhe überlegen, dauert ja schließlich alles bei ihm. Dabei schnappe ich das Wort "Griechenland" auf und langsam dämmert es mir. Er meint das Mittelmeer.
Eine Stunde lausche ich ihm mit weit aufgerissenen Augen und bemühe mich, meine Fassung zu bewahren. Nach und nach drängt sich einer meiner Lieblingssätze von Andreas Altmann an die Oberfläche meines Gehirns. Und Recht hat er, der Satz, denn er trifft einfach den Nagel auf den Kopf:
"Nur Auserwählte kommen in die Nähe von so viel nacktem Wahnsinn." *
Infos:
* Zitat aus: "Im Land der Regenbogenschlange" von Andreas Altmann (einer meiner liebsten Reiseschriftsteller übrigens)
An der Donau war ich im Juli 2012.