Dessau Bauhaus

Kunst und Technik - eine neue Einheit!

Volksbedarf statt Luxusbedarf!

Das Bauhaus in Dessau

 

Fasziniert hocke ich vor diesem... Gebilde und seinem Schatten. Es dreht sich und ständig verweben sich Schatten und Original zu neuen Mustern und Bildern. Es besteht aus Schöpflöffeln, Spießen mit aufgeklebten Spiegeltellerchen, Drähten und durchsichtigen Plastikscheiben. Das Alles steckt in einer Art Dose und ein Lichtstrahler wirft seinen Schatten an die Wand. Gebannt wie ein Menschenkind hocke ich in dem abgedunkelten Raum und staune. Über die immer neuen Formen, die Einfachheit der Idee, ihre Leichtigkeit und das Spielerische. Immer neue Bilder, Muster und Ansichten gibt es zu entdecken. Es ist ein bisschen wie ein Kei-... Kadei-... Kaleidoskop, nur in groß und schwarz-weiß. Auch der Name dieses Dings ist ähnlich kompliziert: Licht-Raum-Modulator.

 

 

Dessau Bauhaus
Hier ein Spiel aus Licht, Schatten und einem Heizkörper.

 

 

Der Licht-Raum-Modulator ist meine erste Berührung mit dem Bauhaus und er macht mich rabenmäßig neugierig! Er steht im Bauhaus Museum Dessau, einer Sammlung vieler, vieler Arbeiten der Bauhäusler. Entspannt hopse ich von Zeichnungen zu Möbeln, von Tapetenentwürfen zu Fotografien, von kleinen Skulpturen zu Stoffproben und Teppichen. Es ist schön, sich kreuz und quer durch diese formlose Sammlung treiben zu lassen. Ein bisschen fehlt ihr die Tiefe, finde ich, aber für eine erste Annährung ist es wohl genau das Richtige.

 

 

 

 

Eins aber wird mir klar: Im Bauhaus geht es viel um individuelle Kreativität. Davon angesteckt kann ich mich gleich ganz hinten im Museum austoben: Dort gibt es eine laaaaaaaange Reihe von schmalen Fächern an der Wand. In jedem Fach steckt das Foto eines Exponates oder eines Bauwerkes. Alle Gäste dürfen sich eine kleine Mappe falten und ihre ureigene Sammlung zusammenstellen und mitnehmen. Ein netter Mann vom Museum hilft mir beim Falten. Dann hocke ich mich oben auf die Fächer und picke begeistert eine ansprechende Karte nach der anderen heraus und bugsiere sie in meine Mappe. Stolz klemme ich sie mir später unter den Flügel – meine eigene Sammlung, so individuell wie das Bauhaus selbst!

 

 

Dessau Bauhaus

 

 

Meine nächste Station ist ein paar Tage später das damalige Unigebäude an der Gropiusallee. Mittlerweile habe ich mich lesend mit dem Bauhaus beschäftigt und mir einen Überblick über den geschichtlichen Ablauf verschafft. Eine gewisse Vorstellung davon, was Walter Gropius und sein "Gefolge" eigentlich wollte, habe ich nun auch.

 

 

 

 

Da kommt mir eine Führung gerade recht. Heute ist Sven Gesse dran und seine Ausführungen sind genial! Virtuos und voller Begeisterung tänzeln seine Erzählungen durch die Gedankenwelt dieser innovativen Schule. Er erzählt keine chronologische Abfolge, aber er ordnet mir mein wild angesammeltes, noch unreflektiertes Vorwissen ein. Den Meistern Kandinsky, Klee, Muche, Meyer (und wie sie alle heißen) geht es um volksnahe Kunst. Die Kunst um der Kunst willen empfinden sie als zu abgehoben für Gretchen Müller von nebenan und Karl Schulze aus der Schuhfabrik. Und wo kann man dem Volk die Kunst näher bringen als am Bau? Das gesamte städtische Leben spielt sich in Bauwerken ab: Zu Hause, auf Arbeit, beim Kaufen... Deshalb ist die Kunst des Bauhauses auf das Gebäude ausgerichtet. Sie wird zur angewandten Kunst - angewandt auf die Raumgestaltung, das Design der Möbel und das Entwerfen von Haushaltsgegenständen wie Teekannen oder Lampen.

 

 

Dessau Bauhaus
Angewandte Kunst beim Arrangement der Blumentöpfe

 

 

Und weil ein großer Teil der Bevölkerung zu dieser Zeit in Fabriken arbeitet, wenig Geld hat und in beengten, dreckigen Hinterhöfen einer lauten Stadt wohnt, wollen die Künstler diesem unwürdigen Wohnen Abhilfe schaffen. Ihre Lösung heißt: Kleine Einfamilienhäuser, die für jedermann dadurch erschwinglich werden, dass sie seriell und somit kostengünstig gefertigt werden. Außerdem gehört dazu ein großer Garten, um selbst Obst und Gemüse anpflanzen zu können. Das Gleiche gilt für das Mobiliar und die Haushaltsgegenstände. Alles soll funktional und industriell zu fertigen sein. Dann ist es nach Auffassung der Bauhäusler automatisch ästhetisch und künstlerisch wertvoll. "Volksbedarf statt Luxusbedarf!" heißt die Parole.

 

 

 

 

Alle Werkstätten der Schule arbeiten gemeinsam an dieser Idee: Die Holzwerkstatt entwirft Schränke und andere Möbel, die Metallwerkstatt Lampen, die Stoffwerkstatt Vorhänge und Bezüge. Die Reklame-Abteilung kümmert sich – nun, um die Reklame, also einen Teil der Vermarktung. Am Bauhaus wird also interdisziplinär gearbeitet.

 

Kunst ist für diese innovativen Denker also angewandt und volksnah. Das ist völlig neuartig. Um potenzielle Studierende und das Volk für diese neue Kunst zu öffnen, gibt sich das Bauhaus auch einen erzieherischen Auftrag. Persönlichkeitsbildung spielt eine wichtige Rolle, ganz besonders in den Vorkursen der ersten Jahre, die von Johannes Itten geleitet werden. Die Vorlehre bildet die Grundlage für die Ausbildung und ist obligatorisch der erste Kurs für alle Studierenden, die offiziell "Lehrlinge" heißen. Hier geht es um zwei Dinge: Zum einen -wie schon gesagt- um Persönlichkeitsbildung, also die Entwicklung einer eigenen Individualität sowohl künstlerisch als auch charakterlich. Es gilt, die persönlichen Vorlieben und Fähigkeiten zu entdecken und zu stärken.

 

 

Hier ein paar Versuche auf der Suche nach einer Reiserabenkreativität:

 

 

Zum anderen geht es um eine äußerst solide handwerkliche Ausbildung. Auf dem Stundenplan stehen Fächer wie Materialkunde, Farb- und Formenlehre. In selbst gestalteten Kunstwerken sollen die jungen Menschen Materialien gemäß ihrer typischen Eigenschaften gegenüberstellen und gleichzeitig zu einem stimmigen Gesamtwerk arrangieren. Hier wird ein weiterer sehr wichtiger Grundsatz des Bauhauses deutlich: Die Basis jeglicher Kunst ist das Handwerk. Ohne handwerkliche Grundausbildung ist keine Kunst möglich. "Kunst und Technik – eine neue Einheit!" heißt die Parole.

 

 

Dessau Bauhaus

 

 

Eine ebenfalls wichtige Grundlage kommt im Bauhaus dem Theater zu. Es steht zwar nirgends auf einem Stundenplan, aber im Rahmen der Freitzeitgestaltung spielt es -im wahrsten Sinne des Wortes- eine große Rolle. Die Bühne ist ein Raum, in dem sich die Schauspielenden bewegen. Die Gestaltung der Bühne (also des Raumes) beeinflusst erheblich, wie Menschen sich darin bewegen und fühlen. Die Wirkung, die ein Raum mit seiner Größe, Farbgebung, Lichtführung etc. auf euch Zweibeiner hat, soll maßgeblich bei der Raumgestaltung berücksichtigt werden. Erfahrungen hierzu machen die Lehrlinge auf der Theaterbühne.

 

Von all diesen Grundsätzen und Zusammenhängen kriege ich einen Eindruck bei meinem geführten Rundgang durch das Bauhaus. Doch der ist nun zu Ende und so verabschiede ich mich krächzend von dem großartigen Sven Gesse. Am liebsten hätte ich mich mit ihm noch laaaaange in der Cafeteria auf einem Tisch hockend unterhalten, aber er muss weiter zu den Meisterhäusern. Und so schaue ich mir alles noch einmal allein in Ruhe an und lasse seine Worte auf mich wirken. Langsam und aufmerksam hopse ich durch die Gänge und Treppenhäuser, durch die Werkstätten und die Festebene. Ich schaue hierhin und dorthin, blicke diesen langen Flur entlang und in jenes Bürozimmer.

 

 

Dessau Bauhauas

 

 

Tatsächlich besticht das Gebäude durch seine Schlichtheit. Farben werden an wenigen Stellen, aber gezielt und wirkungsvoll eingesetzt. Außerdem beschränkten sich die Bauhäusler auf die Grundfarben – wie so oft in ihren unzähligen Entwürfen. Die Formen sind genauso einfach und ebenmäßig, auf ihre Funktion und die Grundformen Dreieck, Kreis und Quadrat reduziert. Durch die Glasfassade ist der Blick nach draußen immer präsent. Der Bau, die Meister und ihre Lehrlinge sind eng mit der Umgebung verbunden. Das Gebäude wirkt leicht, licht und inklusiv. Die ganze Schule ist eins. Gerade hocke ich auf der laaaaangen Fensterbank der "Brücke" zwischen den beiden Trakten. Ich gucke links zum Fenster HINAUS. An der Ecke des Gebäudes kann ich in den Vorkursraum HINEINblicken und durch die dahinterliegende Glaswand gucke ich schon wieder HINAUS! In welchem Bauwerk ist das schon möglich?

 

 

Dessau Bauhaus

 

 

Die Wirkung der Raumgestaltung empfand ich am eindrucksvollsten beim Vergleichen der Vorkursräume und den Unterrichtsräumen der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule im Nordflügel. (Um in Dessau ansässig werden zu dürfen, musste das Bauhausgebäude auch diese Lehranstalt beherbergen.) Licht, transparent, offen und integrativ die einen; schwer, beengend und frontal ausgerichtet die anderen. Sich hier eine Weile Zeit zu nehmen und die Wirkung wirken zu lassen, kann ich sehr empfehlen!

 

 

Dessau Bauhaus

 

 

Den Besuch der Meisterhäuser wiederum ein paar Tage später fand ich diesbezüglich ebenfalls sehr spannend. Vieles haben sie mit dem ehemaligen Unigebäude gemeinsam, in manchen Dingen sind sie völlig anders.

Die Räume sind auch hier unterschiedlich gestaltet und verfehlen ihre Wirkung nicht. Die Küchenräume sind winzig, weil sie auf kurze Wege ausgelegt sind. Sie wirken äußerst funktional und kompakt. Das Atelier dagegen ist großzügig, hat eine hohe Decke und eine Glasfront mit Blick nach draußen ins Grüne. Somit wirkt es geradezu befreiend. Es lädt zum Verweilen und Sinnieren ein. Freiheit für die Gedanken, Ideen und Kreativität! Hier haben sie genug Platz zum Herumschwirren.

 

 

Dessau Bauhaus Meisterhäuser

 

 

Ganz anders hingegen sind die Meisterhäuser bezüglich ihrer Klarheit. Durch die unzähligen kleinen Zimmer, das schmale Treppenhaus und die vielen Kammern und Flürchen wirken sie sehr verwinkelt zwischen den wenigen luftigen Räumen. Die Orientierung fällt mir fast schon etwas schwer, weil ich außerdem noch die Farbgebung betrachte. Aber gerade das finde ich wiederum so spannend: Was war hinter dieser Tür nochmal? Was ist das hier - ein Zimmer oder ein Schrank? Ist um diese Ecke ein gelber oder ein hellblauer Raum? Manche Kammern scheinen nur aus Türen zu bestehen. Das Treppenhaus führt zwar von einem Stockwerk ins andere, aber irgendwie auch nach draußen durch die Außenwand aus Glas.

 

 

 

 

Die Meisterhäuser sind von außen nicht würfelförmig und deshalb hat jedes Stockwerk einen anderen Grundriss. Eines hat das Hauptzimmer und eine Terrasse nach Süden, das andere einen Balkon nach Westen und das große Zimmer nach Norden.

Ein Flug durch das Meisterhaus ist eine spannungsvolle Entdeckungsreise, deren Ruhepol ich immer wieder im Atelier finde. Staunend und entdeckend und fasziniert vom Staunen und Entdecken flattere ich auf immer neuen Wegen durch die Anatomie des Gebäudes.

 

 

Dessau Bauhaus Meisterhäuser

 

 

Prompt erinnere ich mich an meine erste Entdeckung hier in Dessau, ganz am Anfang meines Aus-Fluges. Sie hat mich nämlich genauso ins Staunen gebracht und fasziniert. Es ist der Licht-Raum-Modulator. Im Nachhinein wird er für mich zum Inbegriff des Bauhauses: konzentriert auf das Wesentliche, einfach herzustellen und entstanden aus einer experimentellen neuartigen Denkweise. Nur funktional ist er nicht, sondern stattdessen spielerisch und zweckfrei. Aber spielerisch finde ich das Bauhaus irgendwie auch, besonders was die Ideenfindung, das Theater und die häufigen Kostümfeste angeht.

Und wegen all dieser Eigenschaften finde ich das Bauhaus hummelstark! Vielleicht auch, weil es mich damit ein bisschen an Raben und all die anderen Krähenvögel erinnert. Die sind nämlich auch experimentierfreudig, verspielt, kreativ und durchaus zweckorientiert.

 

 

Dessau Bauhaus

Infos:

Mehr wirklich hilfreiche Infos über das Bauhaus in Dessau findest du hier.

 

In Dessau war ich im Juli und Oktober 2021.