Dat is´ Orient! Oder Okzident?

Eine Einleitung

 

Ach, toll! Die Sonne scheint, die Luft ist lau, eine leichte Brise weht durch meinen Flokati. Ich sitze in einem Café, beobachte erst meinen gemächlich im Glas kreisenden Latte Macchiato und wende mich dann wieder meinem Textentwurf zu. Türkische Großstadt! „Merhaba!“ – „Teschegür ederim“, höre ich von den Nachbartischen. Sind nur zwei, aber egal. Ich schaue auf - und sehe das:

 

 

 

 

Gute Güte, ich bin eindeutig zu Hause – sprich: in meiner Heimatstadt. In Deutschland! Ich bin doch vor ein paar Tagen nach Hause geflogen. Habe auch schon meinen roten Reisesack ausgepackt und mein Nest aufgeräumt. Aber irgendwie wähnte ich mich doch gerade in Istanbul.

Obwohl… wenn ich es mir recht überlege, kann ich mir da echt nicht mehr so sicher sein: Gestern saß ich in einem anderen Café auf dem Tisch, da breitete sich neben mir ein Schwarm alter arabisch sprechender Männer mit Gebetskettchen in den Händen und borstigen Schnurrbärten im Gesicht aus. Vorgestern unterhielt ich mich mit einer Freundin über eine Türkentaube, die für ihre Verlobungsfeier geschlagene drei (!) überbordende Kleider kaufte. Und jetzt rund um mich herum türkische Klänge.

 

 

Wenn man nur immer wüsste, was das so alles ist.
Wenn man nur immer wüsste, was das so alles ist.

 

 

In mir taucht die Frage auf: „Wieso bin ich eigentlich nach Istanbul geflogen? Hier ist es doch fast genauso türkisch.“ Hätte zumindest eine Menge Geld gespart (zum Selbstfliegen war es mir zu weit, schließlich bin ich kein sonderlich geübter Flieger).

Doch während ich so vor mich hin sinniere, wird mir der Unterschied klar: Natürlich habe ich türkische Kultur um mich herum. Das bleibt nicht aus, in einer Stadt, in der rund ein Viertel der jährlich einzuschulenden Kinder Ausländer sind, viele davon türkisch. Ich finde das gut so. Denn wer belebt sonntags flanierenderweise die Innenstadt? Wer bevölkert picknickenderweise die Grünanlagen? Bei wem kann ich Kürbiskerne und andere ausgefallene Körner kaufen - und ihr ungewöhnliche Kräuter, Gewürze und Gemüsesorten? Genau.

 

 

In diesem Café war ich.
In diesem Café war ich.

 

 

Aber hierbei bleibt die Stadt im Grunde doch westlich geprägt. Es ist ordentlich und sauber, dort ein Fachwerkhaus, Straßen und Gehwege sind gepflastert, es gibt ausgewiesene Nistplätze für Störche… Auch das ist gut so, denn das ist ihr Erbe und das gehört zu ihr. Sie wird halt nur von östlicher Kultur ein bisschen verändert, wird bunter, vielfältiger, lebendiger. Das hier ist quasi der orientalisierte Okzident.

 

 

Blick von der Landmauer
Blick von der Landmauer

 

 

In Istanbul ist es umgekehrt. Das Grundgepräge ist orientalisch: Minarette beherrschen die Silhouette. Regelmäßig dringt der Ruf des Muezzin an das menschliche und rabische Ohr. Der Basar. Die Reizüberflutung. Die Kopftücher, Gebetskettchen, der völlig überzuckerte Tee, die vollgestopften Gassen, das Handeln, einfach alles. Aber das Ganze wurde und wird von kapitalistischer Kultur beeinflusst. Istanbul ist der okzidentalisierte Orient.

Und so ist Istanbul für mich ein Stück Zuhause und Zuhause ist ein Stück Istanbul. Urlaub zu Hause oder zu Hause im Urlaub. Wie schön!

 

 

Blick vom Galataturm auf die Altstadt
Blick vom Galataturm auf die Altstadt

Infos:

 

In Istanbul war ich im April 2012.