Die Wiesenthaler Schweiz ist ein Naturschutzgebiet in der nördlichen Rhön. Das sieht man auch, denn eine recht offene und kuppige Landschaft umgibt sie und das ist typisch für das Mittelgebirge im Dreiländereck von Thüringen, Hessen und Bayern. Ich finde, dass es eine wirklich schöne Gegend mit immer neuen Ausblicken ist und einen abwechslungsreichen Wanderweg durch die Wiesenthaler Schweiz gibt es auch.
Die Schweiz selbst ist eine Wacholderheide, also eine Wiese mit vereinzelten Wacholderbüschen darauf. Das Gelände wird ab und an von Schafen gemäht, damit das Gras nicht allzu hoch wird und sie nicht verbuscht. Apropos: Heißt der Vorgang des Graskürzens eigentlich deshalb "mähen", weil dies immer mal von Schafen erledigt wird und diese den Laut "Mäh" von sich geben? ... Egal.
Kurz und gut: Die Wiesenthaler Schweiz ist -großzügig betrachtet- ein Wiesental und liegt nahe des Ortes Wiesenthal. Dieser Teil des Namens ist also erklärbar. Aber wo die Bezeichnung "Schweiz" herrührt, geht beim besten Willen nicht in mein plüschiges Rabenköpfchen hinein. Bei meinem Rundflug habe ich mit Adleraugen geschaut und geschaut, habe aber kein einziges der Schweizklischees entdecken können. Und ein mondäner Urlaubsort ist weit und breit auch nicht in Sicht.
Stattdessen entdecke ich das hier am Ortsrand und spontan denke ich: 'Na, was für ein spezieller Charme. Kann hier nicht mal jemand aufräumen?' Beim genaueren Betrachten der Flechten, die sich malerisch auf dem alternden Wartburg angesetzt haben, denke ich an die Zeiten der DDR zurück: an riesige LPG-Felder, die Berliner Mauer, 5-Jahres-Pläne, mindestens ebenso lange Wartezeiten auf das neue Auto und zuverlässige Kinderbetreuung.
Beim Weiterflattern hallt dieses kurze Erlebnis nach: Mitten in meinem Reisealltag habe ich kurz einem wichtigen Teil der deutschen Geschichte gedacht. Sind diese Ruinen damit nicht mehr als ein abwracktes Auto und ein verfallendes Gebäude? Sind sie damit nicht eigentlich so etwas wie eine "alltägliche Gedenkstätte"? Und ist so ein Blitzgedenken mitten im tagtäglichen Allerlei nicht viel mehr wert als ein Gang mit tiefbetroffener Miene durch ein Museum?
Mir gefällt die Idee einer "alltäglichen Gedenkstätte" jedenfalls ziemlich gut. Aber ich komme ebenso zu dem Schluss, dass es Museen und inszenierte Gedenkstätten genauso geben muss, denn dort geht es auch um Wissensvermittlung. Und wie soll mich der Wartburg ohne das Wissen aus dem Museum an die DDR erinnern?
An meinen Aus-Flug in die Wiesenthaler Schweiz denke ich immer wieder gerne zurück, weil er so abwechslungsreich war: typische Rhönlandschaft, Wald, Wacholderheide, weite Blicke und etwas zum Nachdenken. Das alles hätte ich verpasst, wenn... ja, wenn diese Gegend keine Schweiz gewesen wäre. Und jetzt wird es mir klar - DAS ist der tiefere Sinn hinter dem unpassenden Namen: Den guten alten Ernesto hierher zu locken, damit er euch davon erzählen kann!
Infos:
Ernesto, was ist denn eine Wacholderheide?
In der Wiesenthaler Schweiz war ich im August 2023.