Die kleine Hand klatscht eine große ab, ein breites Grinsen, ein stolzer Jubelruf. Der Große und der Kleine kennen sich nicht, aber die Freude am High-five-Gruß ist nicht zu übersehen. Die beiden sitzen in sich entgegenkommenden Trams. Alle Fenster der uralten knallgelben Vehikel sind geöffnet und die Schienen sind so eng beieinander verlegt, dass die Waggons kaum mehr als einen halben Meter Abstand haben. Und wenn die Straßenbahnen wie hier im Stau am Miradouro Santa Luzia zum Stehen kommen, werden solche Begegnungen möglich.
Enge ist das Stichwort, das die Lissabonner Gassen in einigen Stadtteilen prägt. Sie sind so schmal, dass keine anderen Tramwaggons hindurchpassen als diese hochbetagten Winzlinge. Die urtümlichen Gefährte sind so kurz, dass sie schätzungsweise 20 Sitzplätze beherbergen können. Manche Kurven und Ecken sind so eng, dass die Schienen in einem ausholenden Bogen verlegt werden mussten, denn sonst könnten selbst diese verkürzten Waggons nicht abbiegen.
Oft genug müssen sich Fußgänger flach an die Hauswand drücken, wenn eine Straßenbahn vorbeifährt und ich bin sicher, dass einige von ihnen sicherheitshalber auch noch den Bauch einziehen. Zum Glück werden sie automatisch vorher gewarnt, denn die Trams sind kaum zu überhören. Sie rumpeln lautstark, die Räder quietschen und die Bremsen kreischen dermaßen, dass es wohl manchem von euch noch ein Weilchen in den Ohren klingeln mag.
Ich aber sitze innendrin und bin glücklich, denn eine Tramfahrt ist nicht nur eine Reise durch Lissabon, sondern auch eine Zeitreise. Zumindest zu den Randzeiten, wenn sie nicht allzu überfüllt ist und man sich auf die Fahrt konzentrieren kann und ihr euch nicht in erster Linie damit beschäftigen müsst, den Rucksäcken der anderen auszuweichen und euch einen Platz zum Festhalten zu suchen.
Ich hingegen spüre der harten Rückenlehne der kaum gepolsterten Bank unter meinem flauschigen Sterz nach. Ich genieße die Luftigkeit (sagt ihr das so?), denn alle Fenster sind geöffnet. Das funktioniert auf die lustige britische Art und Weise: Die untere Hälfte kann man nach oben schieben und auf wundersame Weise bleibt sie selbst bei dem Gewackel des Waggons dort hängen. Ich staune darüber, wie gut die alten Häuser, die an mir vorbeiziehen, zum Interieur des an sich museumsreifen Vehikels passen.
Und ich bemerke, dass die geringe Größe (manchmal drückt ihr Menschen euch lustig aus: Warum dieser Widerspruch und nicht einfach „Kleinheit“?) - dass also eben jene geringe Größe der Wagen einen weiteren Sinn hat: geringe Größe heißt geringes Gewicht und das wiederum bedeutet, dass der Motor in der Lage ist, sie die vielen steilen Straßen hinaufzuziehen. Lissabon ist nämlich auf seeeeeeehr hügeligem Gelände erbaut worden und ihr Zweibeiner habt euch ausgefallende Dinge als Aufstiegshilfen einfallen lassen.
Vor lauter Schauen, Staunen und Sinnieren hätte ich fast meine Zielhaltestelle verpasst! Direkt vor mir verlässt der High-five-Junge die Tram. Ich freue mich über sein immer noch stolzes Grinsen. Und in seinen leuchtenden Augen sehe ich die gleiche Freude über das Erlebnis der Tramfahrt wie sie wohl auch in meinem Gesicht zu entdecken sein dürfte.
Infos:
In Lissabon war ich im April 2025.